Wikingeranästhesie

Teil 4

H. Kombinationsanästhesie mit Periduralanalgesie

Der Sparzwang war der eigentliche Erfinder dieser Ergänzung der WA. Weil vorübergehend der Zugang zu kürzer wirkenden Relaxantien begrenzt wurde, habe ich bei einigen Operationen die generelle Anästhesie durch die Kombination mit der Periduralanalgesie ergänzt. Zwar ist es nicht neu, dies mit Bupivacain vor allem bei längeren Operationen zu tun und auch die Verwendung von Fentanyl im Periduralkatheter ist nichts neues. Aber von dieser Kombination, 10-20 ml 0,25% Bupivacain und 0,1 mg Fentanyl im Periduralraum - und nur dort - hatte ich eigentlich zuvor nichts gehört. Es ist besonders dann zu empfehlen, wenn man auch in der Lage ist, diesen Periduralkatheter mindestens für die nächsten 24 Stunden zur Analgesie zu bedienen (bevorzugt mit einer Kombination der beiden erwähnten Substanzen), was die kürzeren Operationen eigentlich eher ausschließen. Nach Möglichkeit empfehle ich doch die volle Relaxation, nur ist diese gegen Ende der Operation nicht mehr so zwingend wie bei der WA ohne peridurale Analgesie.

Die Erfolgsrate der periduralen Analgesie erhöht sich, wenn das Lokalanästhetikum gesamt durch die Touhy-Nadel verabreicht wird, bevor der Katheter vorgeschoben wird. Das Fentanyl (und Clonidin) wirkt eher auf spinaler Ebene und kann ohne Wirkverlust durch den Katheter verabreicht werden.

I. Verbesserung des perioperativen Patientenkomforts

Die Ziele des Patienten unterscheiden sich etwas von den unmittelbaren Zielen des Anästhesisten und Chirurgen. Natürlich liegt die Sicherheit allen am Herzen, aber nicht nur das. Welche (meist lösbaren) Probleme im Umfeld vorliegen, verraten uns die Patienten vielleicht vor, aber eher nach der Operation. Es ist deshalb enorm wichtig, daß der Anästhesist den Patienten (oder wenigstens die Mehrheit davon) auch postoperativ besucht. Diese Forderung wird leider nur wenig beachtet, kann aber im Rahmen einer Qualitätskontrolle [J] vorangetrieben werden.

Die meisten Beschwerden sind auf wenigen Typen verteilt. Leider sind die Gegenmaßnahmen zum Teil widersprüchlich. Ich glaube, man darf nicht immer auf den Sicherheitsaspekten beharren, der "Komfort" muß mit der Sicherheit abgewogen werden. Zudem erlebt man doch oft, daß diejenigen, die immer den Anwalt als Schreckensobjekt hervorhalten, doch nicht alles so richtig machen. Dies wurde besonders bei den nicht-nüchternen Patienten beobachtet: nur selten wurde vorher ein Magenschlauch gelegt, die Präoxygenierung (sonst umstritten) ausreichend lange gegeben und die Relaxation vor dem Intubationsversuch abgewartet. Die letzten zwei Punkte lassen sich jedoch nicht aus den Protokollen ersehen.

Machen wir neben der höchst möglichen Sicherheit auch die Zufriedenheit des Patientens zu unserem Ziel, dann können wir auch echte Verbesserungen der Anästhesietechniken erreichen. Zwar erreicht man nie das Ziel absolut, aber man wird sich diesem eher nähern, wenn die Probleme erkannt und erfragt werden. Dies ist nur möglich im Rahmen einer eigenen oder abteilungsinternen Qualitätskontrolle.

J. Qualitätskontrolle

Die Anästhesie gewinnt in jedem Fall dadurch, daß der Anästhesist am Tag nach der Operation seine Patienten besucht und nach ihren Erlebnissen fragt. Hierdurch werden viele andere Fakten bekannt, auch aus der präoperativen Phase, mehr als der Anästhesist sonst erfahren könnte. Z.B. konnte der Angstzustand nach Droperidol selten bei der Ankunft im OP bekanntgegeben werden (Thalamonal-Irrtum [9,10]), und durch das fehlende Interesse der Anästhesisten wurde diese Substanz daher über viele Jahre hinweg als Prämedikationsmittel vorgezogen (und ist für diese Indikation 1996 noch registriert). Leider ist es nicht möglich, alle Probleme völlig zu umgehen. Umso wichtiger ist es, daß man diese aktiv verfolgt und dauerhaft versucht, seine Technik im Hinblick darauf zu verbessern. Solche Gegenmaßnahmen ist die natürliche Folge einer Qualitätskontrolle. Diese Kontrolle soll nur die Endpunkte analysieren ("was kam dabei heraus?"), nicht wie dies erreicht wurde ("wurden die Richtlinien befolgt?"). Das letztere wurde umgenannt zu "Qualitätssicherheit", darf aber mit der "Qualitätskontrolle nicht verwechselt werden! Die Befragung gibt uns natürlich auch die Möglichkeit, postoperative Komplikationen frühzeitig zu entdecken und zu therapieren (z.B. periduraler Bloodpatch bei postspinalen Kopfschmerzen).

Wir wissen nicht, was während einer Operation in genereller Anästhesie im Gehirn vor sich geht. Wer meint, man könnte von einer "Bewußtlosigkeit" ausgehen und dies womöglich mit irgendeinem Parameter beweisen (einschließlich EEG und evozierten Potentialen), der täuscht sich. Beschreibt man eher pragmatisch die Anästhesie mit einem zufriedenen Patienten (zusammen mit dem nicht unzufriedenen Chirurgen, dem selbstzufriedenen Anästhesisten und dem abwesenden Anwalt), dann spielt die Qualitätskontrolle eine übergeordnete Rolle. Hiermit wird besser als mit jeder Kurve dokumentiert, was wir geleistet haben und welche Probleme damit verbunden waren. Zudem werden wir ständig daran erinnert, diese Probleme zu lösen.

K. Sicherheitsaspekte

In der pragmatischen Anästhesiebeschreibung [1] wird der 'fehlende Anwalt' erwähnt; damit wird auf den Sicherheitsaspekt hingewiesen, der alle an der Operation beteiligten Parteien dringend interessiert. Während der Patient sich sehr für tödlich verlaufende Probleme interessiert (umso mehr, je sicherer die Anästhesie wird), erlebt der Anästhesist viel öfter die weniger schwere Komplikationen bis hin zu dem, was man eher auf 'vorkommend' reduzieren möchte, entweder weil ganz harmlos oder weil unsere Aufgabe eben darin besteht, sich anbahnende Probleme rechtzeitig zu lösen. So gesehen befaßt sich unsere Arbeit nicht nur mit der weitest möglichen Vorbeugung von Komplikationen, sondern auch mit Früherkennung und möglichst frühzeitiger Therapie. Wer diesen Aspekt außer acht läßt, der wird viel eher davon überrascht als derjenige, der eine solche Möglichkeit miteinschliesst.

Dennoch können wir nicht alles nur unter dem Aspekt der Sicherheit betrachten. Muß denn z.B. jeder Anästhesist jedem Patienten eine Anästhesiemaske (die von unten sehr bedrohlich aussieht) vor das Gesicht halten, wo doch die eigentliche Präoxygenierung nur bei Aspirationsgefahr und zu erwartenden schwierigen Intubationen vorgesehen ist? Es könnten somit viele Probleme erwähnt werden, bei denen Sicherheits- und Komfortaspekte in Konflikt geraten, insbesondere wenn man versucht, alles über Richtlinien zu regeln. Aus diesem Grunde wird das Problem hier nur angesprochen, nicht gelöst. Es würde jedoch helfen, wenn man zu den Unterschieden unter den Patienten zugeben würde, daß es auch unter den Anästhesisten Unterschiede gibt [11].

L. Ist die WA besser als andere Methoden?

Für einen Anästhesisten ist die Methode, die er als Routine beherrscht, sicher die beste. Man sieht es, wenn er sich mit einem neuen Medikament versucht, dann ist die Harmonie gebrochen. Dies darf nicht verwundern, denn ein neues Medikament müßte eigentlich andere Eigenschaften haben um als Neuerung berechtigt zu sein, und dies führt in der gesamten Anästhesiewelt zu sichtbarer Verunsicherung. Mehr noch habe ich den Eindruck, daß wenn eine neue Methode eingeführt wird, dann wird diese Methode erst modifiziert in Richtung dessen was bekannt ist, und dann klappt irgend etwas natürlich nicht - was der Verwender allerdings fälschlicherweise der Methode zuschiebt. In all den Jahren, in denen ich die WA verwendet habe (mit verschiedene Modifikationen seit 1978) kann ich mich an keinen Anästhesisten erinnern, der diese Methode ganz verstanden und korrekt angewandt hat. Aus dieser Sicht ist die WA also eindeutig schlechter als andere Anästhesie-Techniken, und ich wäre froh, wenn ich sie alleine weiter verwenden könnte. Leider werden doch immer wieder Versuche in diese Richtung gemacht, und diese Versuche haben diese Anleitung ausgelöst.

Ein anderes Problem ist, daß wir die Anästhesie weder als zerebralen Prozeß, noch als Technik genau definieren können [12]. Liest man die anästhesiologischen Zeitschriften, so scheint man über dieses Problem blendend hinwegzukommen, wenigstens kann man ja immer etwas messen, was dann in Relation zu einer oder besser mehreren Substanzen relativiert werden kann. Diese Begeisterung für das Meßbare führt zugleich zu einer Abwertung dessen, was nur sichtbar aber nicht meßbar ist, z.B. Reflexe. Zudem wird es kaum möglich, das was hier unter dem Konzept WA vage beschrieben wurde, als neue Methode anzuerkennen. Da enden auch meine Publikationsversuche.

Bei der WA ist die "hypnotische Komponente" nicht ausgeprägt, die "analgetische
Komponente" eher bescheiden und daß die im Gegensatz dazu starke Muskelrelaxation auf den anästhesierten Zustand des Patientens einen Einfluß hat, ist den meisten Anästhesisten unbekannt, und dazu noch ungeheuer (Angst vor Awareness mit dem Erlebnis der Paralyse). Allerdings erlebe ich ständig, daß sich Patienten für die gute Anästhesie bedanken (die vielleicht keine war), während Anästhesien die auf hochdosierte Opioide und/oder volatile Anästhetika beruhen oft eine prolongierte Übelkeit und Schwindel nach sich ziehen (aber wie will der Anästhesist dies wissen, wenn er nicht danach fragt?). Es ist auch mein Eindruck, daß die WA ein größeres Maß an Sicherheit mit sich führt, vor allem in der unmittelbaren postoperative Phase. Aus diesen Gründen mache ich mir die Mühe, die sonst so schön aussehenden "Protokoll-Narkosen" zu meiden. Lediglich bei den Kindern habe ich das Gefühl, daß doch ein anderes Anästhetikum von Nöten ist. Für kürzere Eingriffe, oder falls auf Lachgas verzichtet werden muß, scheint die Propofol-Narkose der WA vorteilhaft gegenüber zu stehen.

Insgesamt hoffe ich, daß die WA nur denjenigen vorbehalten bleibt, die einerseits die Voraussetzungen zu verstehen versuchen und andererseits diese auch mit den Ergebnissen kontrollieren. Die anderen sollten es doch lieber dabei belassen, für die Protokolle schöne Narkosen zu machen.

Literatur:
 

  1. Schou J. A Philosophical Approach to Anaesthesia. Alix 1994 (ISBN 3-928811-05-7).
  2. Memory and Awareness in Anaesthesia (B. Bonke, W. Fitch, K. Millar, eds.) Swets & Zeitlinger, Amsterdam 1990.
  3. Schou J, Wehrle A. Pathological findings by epidurography following long-term opioid catheter analgesia. Pain Clinic 1991;4:209-15.
  4. Schou J. Verlängerte Wirkung von Benzodiazepinen. Mediscus 1995;5,1:8-10.
  5. Schou J, Atanassoff P. Prämedikation mit Midazolam in der Kinderanästhesie. der kinderarzt 1986;17:326-9.
  6. Tverskoy M, Ben-Schlomo J, Ezry J, Finger J, Fleyshman G. Midazolam acts synergistically with methohexitone for induction of anaesthesia. Br J Anaesth 1989;63:109-12.
  7. Vinik HR, Bradley EL, Kissin I. Midazolam for Koinduction of thiopental anesthesia in patients. Anesthesiology 1990;73:A.1216.
  8. Schou J. Klinische Einsatzgebiete für Midazolam (ISBN 3-928811-00-2) 1991.
  9. Höfling S, Dworzak H, Buzello W, Neef W. Der Angstprozeß unter verschiedenen hohen Thalamonaldosen zur Prämedikation. Anaesthesist 1983;32:512-8.
  10. Seibert W. Thalamonal-Prämedikation als Auslöser extremer Angst und die postoperativen Folgen. Anaesthesist 1987;36:662-3.
  11. Schou J. Richtlinien - für die Erstellung und Einhaltung von Richtlinien in der Notfallmedizin. Notfallmedizin 1992;18:10-11.
  12. Knaack-Steinegger R, Schou J: Therapie der paradoxen Reaktion nach Midazolam zur Regionalanästhesie. Anaesthesist 1987;36:143-6.
  13. Savarese JJ, Loewenstein E. The name of the game: No anesthesia by cookbook (editorial). Anesthesiology 1985;62:703-5.


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